Gut wohnen in Hamburg seit 75 Jahren
Überblick 1949 bis 2024
Selbsthilfe, Selbstverwaltung und Selbstverantwortung – diese genossenschaftlichen Werte stehen im Mittelpunkt, als sich am 2. April 1949 in Hamburg zwanzig Menschen zusammenschließen, um Wohnraum zu schaffen.
Mit der Gründung der „Baugenossenschaft für Flüchtlinge und Ausgebombte“ beginnt die erfolgreiche Geschichte der Hanseatischen Baugenossenschaft Hamburg eG, die 2024 ihr 75-jähriges Jubiläum feiern wird. In dieser und in den nächsten Ausgaben der Mitgliederzeitschrift erzählen wir unsere Geschichte. Wir beginnen mit einem kurzen Überblick und skizzieren, wie die HBH über 75 Jahre hinweg wechselnde Herausforderungen bewältigte und sich vom Helfer in der Not zum modernen Wohnungsunternehmen entwickelte.
Gründung aus der Not
Samstag, 2. April 1949. Im Gewerkschaftshaus im Hamburger Stadtteil Sankt Georg kommen Menschen zusammen, die ihr Schicksal in die eigene Hand nehmen wollen. Sie alle sind als Flüchtlinge oder Vertriebene aus dem Osten in die Stadt gekommen oder haben ihr Zuhause im Krieg verloren. Die Suche nach Wohnraum ist aussichtslos, die Situation verzweifelt: Hamburg ist durch Luftangriffe stark zerstört und noch voller Trümmer. Viele Männer, Frauen und Kinder leben gedrängt in Notunterkünften oder in behelfsmäßigen Wellblechbehausungen. In den Wohnungen gibt es oft kein Licht, keine Heizungen und keine Kochgelegenheit. Lebensmittel und Brennstoffe sind knapp und rationiert, die Infrastruktur ist beschädigt. „Die Zerstörung ist so grenzenlos, so meilenlang ohne Unterbrechung, dass ich mich die ganze Zeit fragen musste, wo überhaupt die Menschen wohnen“, schreibt der spätere Hamburger Bürgermeister Herbert Weichmann, als er aus dem Exil in seine Heimatstadt zurückkehrt.
Selbsthilfe erscheint nötig, und so gründen zwanzig Personen am 2. April 1949 die „Baugenossenschaft für Flüchtlinge und Ausgebombte“. Sie wird nach einem Wechsel an der Spitze 1950 offiziell anerkannt und firmiert seither als Hanseatische Baugenossenschaft Hamburg eG (HBH). Auf einem Trümmergrundstück in Barmbek errichtet sie 1950 das erste Haus mit rund hundert kleinen Einheiten. Ausgestattet mit Kohleöfen, einfachsten Küchen und Badezimmern bieten die Wohnungen Genossinnen und Genossen nach dem Krieg ein erstes bescheidenes Heim.
Der Vorstand unter dem ersten Vorsitzenden Kurt Baumgarten und zwei ehrenamtliche Mitarbeitende verwalten die Genossenschaft zunächst aus einem winzigen Büro, bevor die Verwaltung der HBH in größere Räume im Lämmersieth 9 zieht.
Die Genossenschaft wächst
In Hamburg herrscht 1949 Aufbruchstimmung. Trümmer werden geräumt und zerstörte Gebäude instandgesetzt. Es entstehen neue Wohnquartiere, oft mit staatlicher Unterstützung. Die Regierung unter Bundeskanzler Konrad Adenauer fördert mit dem ersten Wohnungsbaugesetz von 1950 gezielt Sozialwohnungen. Genossenschaften sind ideale Partner für den Wiederaufbau und das Schaffen von Wohnraum. Die HBH nutzt jetzt öffentliche Mittel, um Häuser in Barmbek, Borgfelde und Eilbek zu errichten. Schon 1952, zweieinhalb Jahre nach der Gründung, feiert die Genossenschaft die Fertigstellung ihrer tausendsten Wohnung in Borgfelde. Weil dies zugleich die 100.000ste Wohnung ist, die nach dem Krieg in Hamburg errichtet wird, spricht Bausenator Paul Nevermann beim großen Festakt.
Zwischen Miete und Eigentum
Immer mehr Männer und Frauen zeichnen Geschäftsanteile der HBH. Die Zahl der Mitglieder steigt zwischen 1950 und 1960 von rund 500 auf mehr als 3.000. Das genossenschaftliche Wohnen ist attraktiv: Für die Nutzung auf Lebenszeit zahlen die Mitglieder keine Miete, sondern ein günstiges Nutzungsentgelt. Genossinnen und Genossen treffen sich nicht nur im Haus und im Quartier, sondern auch bei den Mitgliederversammlungen, die Ende der 1950er Jahre durch Vertreterversammlungen ersetzt werden.
Vielfalt der Aufgaben
Bis Mitte der 1960er Jahre baut die HBH vor allem Anlagen in Barmbek, Borgfelde und Eilbek. Die Wohnungen sind im Vergleich zu den ersten Bauten größer und komfortabler, viele sind mit Badezimmern und Küchen ausgestattet und verfügen über gemeinsame Waschküchen. Ab 1962 stattet die HBH alle neuen Häuser mit Gaszentralheizungen aus oder schließt sie an das Fernwärmenetz an.
Die Genossenschaft erweitert bald ihr Angebot. Sie baut nicht nur Mehrfamilienhäuser, sondern auch Garagen und Spielplätze. 1964 errichtet sie im Auftrag der Hamburger Jugendbehörde erstmals ein Kindertagesheim in der Siedlung Bekassinenau in Rahlstedt. Außerdem baut die HBH Einfamilienhäuser am Stadtrand und bietet sie ihren Mitgliedern zum Kauf an. Zwanzig architektonisch anspruchsvolle „Atriumhäuser“ in Rahlstedt, nach amerikanischem Vorbild mit Innenhof, sind 1963 schon kurz nach Baubeginn vergeben. Der Staat fördert mit dem zweiten Wohnungsbaugesetz von 1960 die Errichtung von „Familienheimen“ und viele junge Familien nutzen jetzt die Gelegenheit zum Umzug in ein Eigenheim.
Siedlungen „auf der grünen Wiese“
Als Mitte der 1960er Jahre am Rand der Stadt neue Wohngebiete erschlossen werden, baut die HBH erstmals südlich der Elbe, in den Stadtteilen Neugraben-Fischbek und Marmstorf. Hamburg wächst und dehnt sich ins Umland aus, städtebauliche Ideen wie die „aufgelockerte Stadt“ oder „Urbanität durch Dichte“ sind bei Bauprojekten leitend. Oft schließen sich mehrere Bauherren zusammen, um Sozialwohnungen „auf der grünen Wiese“ zu errichten. Die HBH ist Ende der 1960er Jahre an diesem Trend beteiligt: beim Bau von großen Anlagen in Rahlstedt und in Neuwiedental ebenso wie bei der Megasiedlung Steilshoop. Diese riesigen Quartiere mit eigener Infrastruktur gelten als fortschrittlich, werfen aber später gelegentlich Probleme auf. Das Wohnumfeld und das Zusammenleben entwickeln sich nicht wie erhofft, manche Siedlungen werden zu sozialen Brennpunkten.
„Vom Bauen zum Erhalten“
Nach der Ölpreiskrise endet der Bauboom in den 1970er Jahren. Die Lage auf dem Wohnungsmarkt entspannt sich, die Einwohnerzahl sinkt, viele Hamburgerinnen und Hamburger ziehen ins Umland. „Die Großprogramme laufen überall aus“, schreibt die HBH 1976, und vollzieht einen Richtungswechsel: Statt auf neue Häuser und Siedlungen konzentriert sie sich nun darauf, Baulücken zu schließen und den Bestand zu modernisieren. Angesichts steigender Energiepreise geht es vor allem um Wärmedämmung und Energieeffizienz. In den 1970er und 1980er Jahren tauscht die HBH Fenster aus und dämmt Fassaden. Heizkörper bekommen Thermostatventile, Küchen und Badezimmer werden erneuert.
Die Entwicklung weg „vom Bauen zum Erhalten“ setzt sich fort, nachdem Kurt Baumgarten 1985 nach mehr als 35 Jahren den Vorstandsvorsitz an Klaus Köster abgegeben hat. Der Bestand vergrößert sich erst einige Jahre später wieder, als die HBH sanierungsbedürftige Wohnungen der nach einem Skandal aufgelösten „Neue Heimat“ übernimmt. In einigen Siedlungen schafft die Genossenschaft zudem neuen Wohnraum, indem sie Geschosse aufstockt und Dächer ausbaut. Ein größeres Neubauprojekt der 1990er Jahre ist die Bebauung der ehemaligen Hunderennbahn am Traberweg, wo die HBH insgesamt 170 Einheiten an ihre Mitglieder übergibt.
Gemeinsam wohnen
Die Interessen, Bedürfnisse und Wünsche der Mitglieder leiten das Handeln der HBH auch im neuen Führungsteam unter Daniel Kirsch, der 2006 den Vorstandsvorsitz von Klaus Köster übernommen hat. Die HBH erweitert nun ihren Service: Neben den bestehenden drei HBH-Treffpunkten entstehen weitere Räume zum Austausch, zur Begegnung und für Veranstaltungen. Nachbarschaftsfeiern und Hausfeste stärken den Zusammenhalt in vielen Siedlungen zusätzlich.
Außerdem erfolgen die ersten Quartiersentwicklungen mit Abriss von Bestandsgebäuden der 1950er Jahre und Neubau von altersgerechten Wohnungen und Sozialwohnungen. Gerade von den altersgerechten Wohnungen profitiert die Genossenschaft insgesamt, wenn durch einen Umzug größere Wohnungen frei werden, die sich für Familien eignen.
Hausverwalter bilden heute die Schnittstelle zwischen den Mitgliedern und der Geschäftsstelle – und sind jederzeit erreichbar. Bei der Betreuung älterer Menschen unterstützt die HBH seit 2014 den Verein Freunde alter Menschen und erprobt im Quartier Bürgerweide seit 2018 zusätzlich einen Concierge Service. Zwei Mitarbeiterinnen und ein Mitarbeiter nehmen Pakete an, gießen bei Bedarf im Urlaub die Blumen, erledigen Einkäufe und haben immer ein offenes Ohr.
Nachhaltig handeln
Die HBH hat das ambitionierte Ziel, spätestens bis 2045 klimaneutral zu werden. Die energetische Sanierung des Bestands ist schon weit gediehen und wird konsequent fortgesetzt. Wo höchste Effizienz- und Komfortstandards nicht erreicht werden können, lässt die Genossenschaft Häuser auch abreißen und neu errichten. Jede Modernisierung dient der Nachhaltigkeit und steigert die Wohnqualität. Zum Beispiel hat die HBH in den Jahren 2016 bis 2023 das Quartier Bürgerweide umfassend umgebaut, den Lärmschutz verbessert und ruhige, attraktive Innenhöfe als Erholungsorte geschaffen.
Strengsten Anforderungen an die Energieeffizienz genügen auch die mehr als hundert frei finanzierten Wohnungen, die die HBH ab 2018 als Teil der Quartiersentwicklung „Tarpenbeker Ufer“ auf dem Areal eines ehemaligen Güterbahnhofs in Groß Borstel erworben hat. Sie liegen naturnah an dem Flüsschen Tarpenbek und bieten den Genossenschaftsmitgliedern zeitgemäße Grundrisse und modernste Ausstattung.
Die HBH ist Mitglied der UmweltPartnerschaft Hamburg und engagiert sich in Projekten, die dem Umweltschutz dienen. Der Anspruch, nachhaltig zu handeln, erstreckt sich auch auf die derzeit rund 65 Mitarbeitenden. Viele von ihnen sind schon seit Jahrzehnten im Haus. Die Ausbildung und Förderung des Personals haben einen hohen Stellenwert.
In ihrer 75-jährigen Geschichte ist die Hanseatische Baugenossenschaft Hamburg ihren genossenschaftlichen Werten verpflichtet geblieben und hat viele Herausforderungen gemeistert. Vieles hat sich verändert, ihre Aufgabe aber ist geblieben und heute so aktuell wie bei ihrer Gründung: Als selbstverwaltete Baugenossenschaft schafft sie guten und sicheren Wohnraum für ihre Mitglieder und setzt sich für ein gelungenes Zusammenleben der Menschen ein.
Lesen Sie in der nächsten Ausgabe den zweiten Teil unserer Artikelserie: „Jedem sein eigenen Heim“ – Die ersten 25 Jahre 1949-1974