Gewalt in Familien

„Das geht uns alle an!“

Child abuse concept. Teddy bear covering  eyes in an empty room

Die Polizeiliche Kriminalstatistik weist für 2020 eine erhebliche Zunahme von Gewalttaten gegen Frauen, Kinder und Jugendliche aus. Die Statistik enthält jedoch nur die Delikte, die der Polizei bekannt geworden sind. Schätzungen zufolge ist die Dunkelziffer um ein Vielfaches höher. Wie hilfsbereite Nachbarinnen und Nachbarn Opfer von häuslicher Gewalt unterstützen können, ohne sich selbst zu gefährden, erklärt Petra Wendt vom Sozialmanagement der HBH.

„Gewalt in Familien und Partnerschaften war für unsere Genossenschaft leider auch schon vor der Coronapandemie ein Thema.“ Petra Wendt ist bei der HBH unter anderem Ansprechpartnerin, wenn es um Nachbarschaftskonflikte geht. In den vergangenen zwei Jahren sorgten Lockdowns, Kontaktbeschränkungen und Quarantäne dafür, dass die Menschen viel mehr Zeit zuhause verbracht haben. „Bei vielen lagen die Nerven blank. Wer auf engem Raum arbeiten und noch für die Kinderbetreuung sorgen musste, stieß an die Belastungsgrenzen“, berichtet Petra Wendt. Sie erhielt Anrufe von Nachbarn, die sich über tobende Kinder oder schreiende Erwachsene beschwerten. „Es ging aber nicht immer nur um Ruhestörung. Einige waren sehr besorgt und fühlten sich ratlos, weil in lautstarken Auseinandersetzungen auch weinende Frauen oder Kinder zu hören waren.“ Rufen die Nachbarn erst am nächsten Tag bei Petra Wendt an, ist es für die Opfer schon zu spät, um ihnen unmittelbar zu helfen.

Daher bittet Petra Wendt, selbst aktiv zu werden. „Gewalt in Familien geht uns alle an“, sagt sie bestimmt. Studien belegen, dass eine gute und aufmerksame Nachbarschaft Schutz vor Gewalt bieten kann. Viele Konflikte können von aufmerksamen Nachbarn schon im Vorfeld entschärft werden.

Hört man zum Beispiel immer wieder, dass Erwachsene in der Nachbarwohnung wild streiten oder Kinder ständig angebrüllt werden und weinen, empfiehlt Petra Wendt, sich zunächst mit einer Beratungs- oder Interventionsstelle für häusliche Gewalt in Verbindung zu setzen. „Die Polizei oder das Hilfetelefon gegen Gewalt an Frauen sind rund um die Uhr erreichbar und vermitteln Kontakte in der Nähe.“ Auch für die überwiegend männlichen Täter, die aus Überforderung heraus mit Aggression und Gewalt reagieren, gibt es Beratungseinrichtungen.

Wer mutig sei, könne auch bei der Nachbarwohnung klingeln, um eine „paradoxe Intervention“ zu starten, erklärt Petra Wendt. Dabei wird durch eine einfache Aktion, indem man zum Beispiel nach einer Packung Milch, etwas Mehl oder einem Ladegerät fragt, eine möglicherweise gewalttätige Auseinandersetzung unterbrochen. Gleichzeitig könne man sich einen Überblick über die Situation verschaffen.

„Eine Anruferin erzählte mir, dass das Kleinkind in der Wohnung über ihr ständig weine, vor allem nachts. Sie könne nicht mehr schlafen und habe Angst, dass das Kind vernachlässigt würde.“ Petra Wendt hakte nach. „Haben Sie das Kind gesehen? Haben Sie die Eltern einfach mal angesprochen, ob es dem Kind gut geht, weil Sie es häufig weinen hören?“ Ein paar mitfühlende Worte seien der erste Schritt, um einen Eindruck zu bekommen, ob das Kind krank sei, vielleicht zahnt oder tatsächlich misshandelt wird.

„Wenn man um Kinder und Jugendliche besorgt ist, sollte man sich direkt Rat beim Jugendamt holen.“ Petra Wendt weiß aus vielen Gesprächen mit den dortigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, dass sie Situationen und Gefährdungen sofort einschätzen können und handeln.

Bei einer „paradoxen Intervention“ gilt immer zu überlegen, ob man im Moment selbst stark genug ist. Auch ist es von Vorteil, sich von einem anderen Erwachsenen begleiten zu lassen. Hat man das Gefühl, durch eine Intervention selbst in Gefahr zu geraten, rät Petra Wendt dazu, die Polizei zu rufen: „Besser die Polizei einmal mehr rufen als zu wenig.“

Von einer Abfuhr „Halten Sie sich daraus!“ sollte man sich nicht entmutigen lassen. Bei gewaltbetroffenen Frauen sei das ein Selbstschutz. „Wichtig ist“, betont Petra Wendt, „dass Nachbarinnen und Nachbarn sensibel für Anzeichen von häuslicher Gewalt sind und Zivilcourage zeigen – damit die Gewalt gar nicht erst eskaliert.“

 

Anlaufstellen für Ratsuchende, Angehörige, Täter und Betroffene

Polizeiruf 110

Jugendamt
bei Hilfe für Kinder und Jugendliche. Das für Ihren Stadtteil zuständige Jugendamt finden Sie unter www.hamburg.de/jugendamt

Kinder- und Jugendnotdienst
Tel. 040 428153200
Hilfe im Notfall.
Rund um die Uhr an 365 Tagen im Jahr.

Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“
Tel. 08000 116016
Online-Beratung unter 
www.hilfetelefon.de
Rund um die Uhr an 365 Tagen im Jahr. Kostenlos, anonym und für alle Nationalitäten.

Bundesweite Frauenhaussuche
www.frauenhaus-suche.de

Hilfetelefon „Gewalt an Männern“
Tel. 0800 1239900
Mo bis Do 9-13 Uhr und 16-20 Uhr
Fr 9-15 Uhr
Online-Beratung unter www.maennerhilfetelefon.de

Beratung für Jungen, Männer & Väter 
www.maennerberatungsnetz.de
Das Männerberatungsnetz bündelt Beratungsangebote, die auf Männerbelange spezialisiert sind und die professionell mit männlichen Rollenbildern und Stereotypen umgehen.